CREATIVE WRITING
EXAMPLES OF CREATIVE WRITING – KREATIVES SCHREIBEN: EINIGE BEISPIELE
In this section we publish the texts/images that we have received since the publication of the book 81 Sprüche zur Enthärtung unserer Welt – On the Softening of Our World: 81 Sayings in 2021.
The contributors are listed in alphabetical order.
NILS BERNSTEIN
Anderen ihren Lärm vorzuwerfen, ist gelegentlich illegitim.
Gleichzeitig ist unser Wunsch nach Ruhe ubiquitär.
Wenn man an der Universität an dem Raum vorbeigeht, der die ominöse Funktionszuweisung Technik trägt, so sieht man dort ein rot leuchtendes Schild mit dem Hinweis Ruhe! prangen. Zur Zeit der Zwangsdigitalisierung leuchtete es noch nicht. Seitdem wieder Menschen in die Universität ein- und ausgehen, ist es illuminiert. Es ist fehlerfrei geschrieben. Die eingängige Interpunktion untermalt den Wunsch der Aussage. Irritierend wären inflationär gesetzte Anführungszeichen, wie man sie heutigentags so häufig findet, etwa ein Schild mit „Ruhe“ bitte! oder gar ein Ruhe „bitte“! Zudem ist der Zusatz bitte komplett redundant und wird einfach durch ein Ausrufezeichen ersetzt. Welche Techniker*innen mögen dort arbeiten? Wer sorgt für die Illumination? Gibt es einen Bewegungsmelder oder reagiert die Leuchte auf Lautstärke? Wird sie gar manuell von einem Tag und Nacht arbeitenden Techniker an- und wieder ausgeschaltet? Fragen über Fragen. Jedoch sind die Techniker*innen viel weiter, als die Kolleg*innen einer Fakultät, die sicher ungenannt bleiben will, jedoch – so viel sei verraten – etwas mit Psychologie zu tun hat. Dort gibt es einfach nur Zettel mit dem Hinweis: Seien Sie leise, hier wird gearbeitet! Und dem aufschlussreichen Zusatz: Wenn Sie zum Sprachenzentrum wollen, müssen Sie umdrehen!
Der österreichische Dichter Ernst Jandl (1925-2000) begann manche Lesung vor andächtig lauschendem Publikum mit dem Gedicht lauter, das er am 24.10.1963 schrieb. Es lautet:
lauter lauter lauter lauter lauter lauter leise leute
Psycholog*innen erwarten im Sprachenzentrum sicher nicht lauter leise Leute und schon gar nicht etwa arbeitende, sondern wahrscheinlich ein laut pöbelndes Publikum, das polternd durch die Gänge grölt. Die Psycholog*innen und Techniker*innen scheinen sich vereint zu haben in ihrem Wunsch nach Ruhe und würden wohl gerne mit einem anderen Österreicher, nämlich mit Falco, rufen: Seid’s deppert? Der Vorwurf, gerichtet an die anderen, wird klar. An einem eher ruhigen Raum wie der Universität erstaunt er. In einem überfüllten Zug könnte er gerechtfertigt sein. Kafka schien ein ungeheures Bedürfnis nach Ruhe zu haben, wie man in seinem kleinen Text Großer Lärm bewundern kann. Man kann sich kaum vorstellen, wie Kafka heutzutage mit Noise Cancelling-Ohrstöpseln durch den öffentlichen Verkehr von Prag pendelt. Oder wie er gar Schulkinder mit oben genanntem Falco-Zitat anherrscht, wenn sie laut Musik mit Kopfhörern über ihr Handy hören. Jedenfalls ist sehr wahrscheinlich, dass Der Process oder Das Schlossanders entstanden wären, wenn Prag damals schon die Dezibelbeschaffenheit unserer Gegenwart gehabt hätte. Der Wunsch nach Ruhe ist legitim. Ruhe kann inspirieren, Ruhe kann zugleich irritieren. Wer einmal in einer Wüstenlandschaft stand, weiß vom Irritationscharakter völliger Stille. Und doch gönnen wir uns aktuell sicherlich etwas zu wenig davon. Mit Lärm und Ruhe haben sich viele kluge Köpfe befasst. Die Techniker*innen und Psycholg*innen mit ihrem vorwurfsvollen Sound kann man daher auf die Suche nach der inneren Ruhe schicken und ihnen einfach den schönen Sinnspruch von François de la Rochefoucauld entgegen plärren:
„Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie andernorts zu suchen.“
ALEXANDRA HENSEL
Vom Schätze sammeln…
Ich hörte neulich von der Idee, Schätze zu sammeln, um in dunklen Zeiten Trost zu finden. Jedes Mal, wenn man einen schönen Moment erlebt wie Kaffee trinken mit einer richtig guten Freundin, ein freundliches Lächeln im Supermarkt, einen Sonnenaufgang, den man durch das Küchenfenster erblickt und der sanft und nur für einen Augenblick den Himmel stückchenweise rosa färbt, das Ankuscheln und Schnurren einer Katze, ein besonders gelungenes Essen, das einen regelrecht verzückt, eine liebevolle Berührung, Zuspruch von jemandem, von dem man es nicht erwartet hätte, soll man dieses Erlebnis auf einen Zettel schreiben und diesen in eine Kiste oder Schatulle legen. Und mit der Zeit sammeln sich immer mehr Zettel und damit Erinnerungen, die einem wieder ein schönes Gefühl bereiten. Genau wie in der Geschichte mit Frederick der Maus von Leo Lionni, die für den langen kalten Winter statt Nüsse und Körner, Sonnenstrahlen, Farben und Wörter, also wärmende Erinnerungen gesammelt hat und sie den anderen Mäusen schenkt, als diesen die dunkle kalte Zeit zu lang wird und sie kaum noch was zu essen haben. Es ist gerade auch bei uns ein langer kalter Winter und bis der nächste Frühling kommt, können wir Schätze sammeln, die uns und auch andere so lange wärmen.
CONOR EAMONN MURPHY
"Die Heimat ist nie zu weit weg"
Das Bild wurde bei einem Fußballspiel von St. Pauli in deren Heimstadion, dem Millerntor-Stadion im Herzen von Hamburg, fotografiert. Ich habe das letzte Spiel von St. Pauli in dieser Saison gesehen. Die Stimmung war im Stadion fantastisch. Ich befand mich in einer seltsam aber tollen Situation. Vor dem Spiel bin ich durch das Stadion gelaufen und habe auch überall an den Wänden viele Aufkleber gesehen. Dieser Aufkleber hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen und ich musste ihn fotografieren. Deutschland ist bekannt für seine Grafik und Straßenkunst, und Aufkleber sind ein wichtiger Teil davon, besonders in Hamburg. Auf dem Aufkleber steht ,,Táimid Sankt Pauli". ,,Táimid" bedeutet ,,wir sind" auf Irisch.
Es war sehr seltsam, aber erwärmend, dies zu sehen. Irisch ist eine Sprache, die man fast nie in Deutschland hört. St. Pauli hat eine Verbindung zu Irland, und das habe ich bei Spielen und in der Stadt Hamburg gespürt. Es gibt eine Verbindung, weil Celtic, der große Fußballverein in Schottland, und St. Pauli Schwestervereine mit vielen Fans sind. Celtic ist eine Fußballmannschaft mit irischen Wurzeln, und so ist diese Verbindung zu Irland und St. Pauli entstanden. Das zeigt, dass die Heimat nie zu weit weg ist.
MARIA SOL VELASQUEZ
Auch aus Steinen, die einem auf den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.